Lieferketten unter der Lupe: Meine Kleidung hat eine Geschichte
Am 18. März 2025 fand im Grashaus in Aachen eine aufschlussreiche Veranstaltung zum Thema Lieferketten in der Textilindustrie statt, insgesamt nahmen 30 Personen vor Ort und 10 weitere online an der Diskussion teil. Unter dem Titel „Lieferketten unter der Lupe. Meine Kleidung hat eine Geschichte“ beleuchteten Expertinnen die globalen Auswirkungen der Modeproduktion. Die Veranstaltung wurde von Mona Pursey vom Eine Welt Forum Aachen eröffnet, die die Teilnehmenden daraufhin zu einer abwechslungsreichen „FAIRkostung“ verschiedener Fair-Trade Lebensmittel einlud.
Den Auftakt machte Ingrid Krümmel-Seltier von Greenpeace, die die historische Entwicklung der Aachener Tuchindustrie skizzierte. Während früher alle Produktionsschritte lokal stattfanden, begannen ab den 1920er-Jahren billigere Stoffe aus Südeuropa die heimische Produktion zu verdrängen. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die globalen Lieferketten ist die Reise einer Jeans. Der Stoff stammt oft aus der Türkei, Mexiko oder Südostasien, und bevor eine Jeans im Handel landet, hat sie rund 50.000 Kilometer zurückgelegt. Die Lieferketten sind dabei oft intransparent, da viele Unternehmen mit Subunternehmen und weiteren Zulieferern arbeiten. Insgesamt sei die Textilbranche in hohem Maße undurchsichtig, so Kümmel-Seltier. Neben den komplexen Lieferwegen beleuchtete sie auch die enormen Umwelt- und Gesundheitsbelastungen der Textilindustrie. Jährlich werden 11 Milliarden Tonnen Rohöl zur Produktion von 85 Millionen Tonnen Fasern benötigt, von denen 70 % aus Polyester bestehen. Besonders problematisch sei zudem die Baumwollproduktion, die nicht nur enorme Mengen an Wasser und Düngemitteln erfordere, sondern auch häufig mit Pestiziden belastet sei. Selbst in vermeintlich ökologischer Baumwolle seien bis zu 80 % gentechnisch verändert. Auch die Veredelung von Stoffen erfordert zahlreiche chemische Prozesse, darunter das Bleichen, Färben und Imprägnieren. Greenpeace geht davon aus, dass dabei etwa 3.500 Chemikalien verwendet werden, darunter besonders problematische PFAS-Stoffe, die mittlerweile weltweit nachweisbar sind. Doch es gibt Initiativen, die für eine nachhaltigere Textilproduktion kämpfen. Die „Detox my Fashion“-Kampagne von Greenpeace fordert den Verzicht auf elf besonders schädliche Chemikalien. Bis 2020 hatten 15 % der Textilhersteller, darunter Fast-Fashion-Marken wie Primark und C&A, diese Initiative unterzeichnet. Allerdings setzt die EU lediglich Grenzwerte für problematische Stoffe, anstatt sie vollständig zu verbieten. Diese Regelungen gelten zudem nicht in den Produktionsländern, sodass dort weiterhin gefährliche Chemikalien zum Einsatz kommen können.
Im zweiten Vortrag des Abends sprach Marijke Mulder von „Femnet“ über die Situation von Frauen in der Textilindustrie. Sie erläuterte, dass der Baumwollanbau nach wie vor stark von Kinderarbeit geprägt ist und Arbeiterinnen oft ohne Schutz mit Pestiziden in Kontakt kommen. Besonders alarmierend sei die Lage in den Spinnereien Südindiens, wo das sogenannte Camp-Labour-System existiert: Junge Frauen werden für mehrere Jahre an ihre Arbeitgeber gebunden, erhalten nur minimale Ausbildung und dürfen das Werksgelände nicht verlassen. Diese Praxis entspricht laut Mulder Zwangsarbeit und geht oft mit Machtmissbrauch, sexueller Belästigung und Gewalt einher. Zudem seien die Löhne oft so niedrig, dass sie nur ein Viertel dessen betragen, was für ein menschenwürdiges Leben nötig wäre. Gewerkschaften und Betriebsräte würden unterdrückt, und viele Arbeitsverträge seien für die meist analphabetischen Arbeiterinnen nicht verständlich.
Marijke Mulder erläuterte das deutsche Lieferkettengesetz, das 2022 verabschiedet und 2023 in Kraft trat. Es verpflichtet Unternehmen, direkte Geschäftspartner auf Menschenrechts- und Umweltstandards zu prüfen, erfasst aber nicht die gesamte Lieferkette. Ein Monitoring der Bundesregierung zeigt, dass nur wenige Unternehmen bereit sind, Auskunft zu geben, und Sanktionen oft wirkungslos bleiben. Das geplante EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) geht weiter: Es gilt für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz und umfasst alle Zulieferer. Zudem sollen Geschädigte Unternehmen direkt vor einem EU-Gericht verklagen können. Der Finanzsektor bleibt dabei jedoch ausgenommen – ursprünglich war eine spätere Überprüfung vorgesehen, doch nach dem Omnibus-Verfahren könnte er dauerhaft herausfallen. Gleichzeitig gibt es Widerstand gegen strengere nationale Regelungen, härtere Strafen und schärfere Kontrollen.
Im anschließenden Publikumsgespräch wurden weitere Fragen zur Umsetzung des Gesetzes diskutiert. Ein Teilnehmer wollte wissen, ob auch Aktionäre von Unternehmen durch das Gesetz betroffen seien. Dies wurde verneint, jedoch könnten Banken, die Kredite an Textilunternehmen vergeben, zur Verantwortung gezogen werden. Zudem wurde kritisiert, dass Deutschland das Gesetz auf nationaler Ebene umsetzte, anstatt eine einheitliche EU-Regelung abzuwarten – eine Entscheidung, die nach Ansicht der Expertinnen zu einer Verwässerung der Bestimmungen geführt habe.
Zum Abschluss appellierte Mona Pursey an die Verbraucherinnen und Verbraucher: Wer aktiv nach Fairtrade-Produkten fragt, kann Händler dazu ermutigen, mehr nachhaltige Alternativen ins Sortiment aufzunehmen. Besonders junge Menschen, so der Konsens des Publikums, tragen eine große Verantwortung für bewussten Konsum. Die Veranstaltung endete mit einer lebhaften Diskussion über Möglichkeiten, nachhaltige Mode im Alltag stärker zu fördern.
- Europe Direct Youtube-Kanal
- Greenpeace-Gruppe Aachen
- Aachener Bündnis FAIRhandeln
- Eine Welt Forum Aachen
- Femnet
- https://lieferkettengesetz.de/
- https://have-your-say.ec.europa.eu/index_de
- Kurzlink auf diesen Artikel: ogy.de/Lieferketten-Lupe
Quelle (Text & Fotos): Europe Direct
https://www.europedirect-aachen.de/events/archiv/2025/lieferketten-unter-der-lupe-meine-kleidung-hat-eine-geschichte