Aachen Offener Brief: Widerstand gegen Bezahlkarte für Asylbewerber
Ein Bündnis von Sozialverbänden und -organisationen protestiert gegen die Einführung einer Bezahlkarte. Geplant ist auch eine Mahnwache auf dem Aachener Markt.
Vertreterinnen von Sozialverbänden und -organisationen in der Städteregion erheben Einspruch gegen die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber.
Vertreterinnen von Sozialverbänden und -organisationen in der Städteregion erheben Einspruch gegen die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber. Foto: Andreas Schmitter
Mehr als hundert Organisationen und Einzelpersonen haben ein Schreiben unterzeichnet, das sich entschieden gegen die Einführung einer Bezahlkarte in Stadt und Städteregion Aachen ausspricht. Gerichtet ist der von der Initiative „Ja zur offenen Gesellschaft – Nein zur Bezahlkarte“ formulierte Brief an Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, Städteregionsrat Tim Grüttemeier und die politisch Verantwortlichen.
Anlässlich des Weltflüchtlingstages verdeutlichte die Initiative ihre Anliegen im Rahmen eines Pressegesprächs im „Haus des Paritätischen“ und rief zu einer Mahnwache auf. Sie soll im Vorfeld einer Sitzung des Sozialausschusses stattfinden, der sich laut Tagesordnung mit dem Thema befassen will. Ort der Mahnwache ist der Aachener Markt vor dem Rathaus am Donnerstag, 27. Juni, zwischen 16 und 17 Uhr.
Die Bezahlkarte sollen alle Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten – im wesentlichen Geflüchtete. Eine Verschärfung dieses Gesetzes wurde auf Vorlage der Bundesregierung am 12. April vom Bundestag verabschiedet. Den Ländern und Kommunen steht allerdings frei zu entscheiden, ob und wie sie die Bezahlkarte einführen – eine bundeseinheitliche Regelung gibt es nicht. Während in Bayern das Instrument nahezu flächendeckend bereits eingesetzt wird, haben sich mehrere Kommunen in Nordrhein-Westfalen schon dagegen entschieden, unter anderem Köln, Dortmund, Bochum, Oberhausen oder Duisburg.
Vertreterinnen des Paritätischen Verbandes, von Refugio e.V., Café Zuflucht, Amnesty International, der Katholischen Hochschule, Frauen helfen Frauen, Pax Christi, Kirche gegen Rechts oder dem Verein Türöffner Würselen erklärten unisono, die Bezahlkarte sei ein „Diskrimierungsinstrument“. Mit ihr werde vor allem das Ziel verfolgt, den Geflüchteten das Leben schwer zu machen und sie abzuschrecken. Eine solch abschreckende Wirkung mit den Mitteln der Sozialpolitik sei durch die Migrationsforschung eindeutig widerlegt worden. „Rechtsstaatlichkeit, Freunde, Familie und Arbeitsbedingungen sind die wesentlichen Faktoren für den Zielort einer Flucht“, so die Analyse.
Schon wegen des unverhohlenen Motivs der Abschreckung sei die Bezahlkarte verfassungsrechtlich nicht haltbar. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2012 entschieden, dass „die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf“. In einer Stellungnahme hat der Deutsche Anwaltsverein im April die Bezahlkarte eindeutig abgelehnt. „Asylsuchenden muss die Möglichkeit gegeben werden, eigenverantwortlich und selbstbestimmt entscheiden zu können, welche Waren und Dienstleistungen sie benötigen“, sagte Manuela Aye, Kreisgruppengeschäftsführerin beim Paritätischen.
Auch wenn die Bezahlkarte, so heißt es in dem Schreiben der Initiative, als vermeintlich „diskrimierungsfreie“ Karte eingeführt werden sollte, sei sie als „Instrument der Gängelung, Kontrolle, Entmündigung und Überwachung“ nicht zu akzeptieren. Sie stigmatisiere Geflüchtete und stelle sie unter Generalverdacht, das System massenhaft zu missbrauchen. Im Übrigen spreche sie den Geflüchteten die Fähigkeit ab, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen. Hinzu komme, dass auch eine sogenannte diskriminierungsfreie Karte nicht überall einsetzbar sei und dadurch die Möglichkeit genommen werde, viele Dinge kostengünstig zu erwerben. „Eine Bezahlkarte behindert die Integration. Sie beschränkt das Selbstbestimmungsrecht und die gesellschaftliche Teilhabe“, erklärte Pelin Yigit vom Verein Türöffner.
Unter dem Motto „Wir sind Aachen – Nazis sind es nicht“ habe die Stadt Aachen am Holocaust-Gedenktag ein beeindruckendes Zeichen gesetzt, auch in anderen Kommunen in der Städteregion war dies der Fall, ist in dem Schreiben zu lesen. Tausende Menschen seien aufgestanden für Demokratie, Vielfalt und Menschenrechte. Das mache Mut, heißt es. Und diesen Mut fordern die Unterzeichner jetzt wieder ein – gegen den erstarkenden Faschismus, gegen den Rassismus und seine menschenverachtenden Ideologien. „Die Menschenwürde ist unteilbar. Es darf einfach nicht zweierlei Maß dafür geben“, so die einhellige Meinung der reinen Frauenrunde. Kristina Blömer, Refeentin bei Pax Christi, formulierte es so: „Für uns ist die Bezahlkarte ein Ausdruck des Rechtsrucks, der in unserem Land stattfindet und ein populistisches Instrument auf dem Rücken der marginalisierten Menschen.“