I can’t breathe … seit 500 Jahren
Warum Rassismus auf dem Vormarsch ist und warum das ein Schuss ins eigene Knie ist
Verfasst von: Serge Palasie, Fachpromotor Flucht, Migration und Entwicklung | Eine Welt Netz NRW
Die Furcht vor einer Befreiung des Opfers und eine damit möglicherweise verbundene Umkehrung der Situation ist zu groß. Nun aber ist dieser wesentlich durch transatlantischen Sklavenhandel und Kolonialismus begründete Besitzstand so gefährdet wie nie zu vor. Neue nicht-weiße Player erscheinen zunehmend auf der Weltbühne und nehmen einem scheinbar gottgegebenen System zunehmend die Butter vom Brot. Das Wiedererstarken von Rassismus (der nie weg war) ist vor diesem Hintergrund erklärbar. Trump, AfD, Le Pen und Co. wären ohne eine wachsende Verlustangst in der Bevölkerung nicht denkbar. Und nun, wo die „weiße Vorherrschaft“ in Gefahr ist, drückt man sein Knie umso fester auf den Nacken des Opfers. Das Traurige neben dem Rassismus selbst: Dem kleinen weißen Mann (und der kleinen weißen Frau) wird vorgegaukelt, dass eine rassistische und auf Exklusion abzielende Politik die Lösung für alle Probleme sei. Dass das nicht so ist, wissen die populistischen Politiker*innen selbst. Sie instrumentalisieren die vorhandenen (Abstiegs)Ängste und tun alles dafür, dass diese Ängste zu Wut und Hass werden. Der wachsenden Schicht „kleiner Weißer“ wird das Gefühlvermittelt, dass an den wachsenden Problemen die „Anderen“ schuld seien, denen man per „Rasse“ überlegen sei und daher das Recht habe, sie mit allen Mittel zu bekämpfen. Dass die Populist*innen ihre Probleme nicht lösen werden können, ist ihnen nicht bewusst. Auch als verhältnismäßig privilegierte Weiße werden sie am Ende doch nur benutzt.Glücklicherweise –und das zeigen die Demos der letzten Wochen – gibt es auch zahlreiche Weiße, die sich aus Überzeugung gegen jeglichen Rassismus aussprechen. Letzteres braucht es in zunehmendem Maße: Schon am Anfang des systematischen Dehumanisierungsprozesses nicht-weißer Menschen im 17. Jahrhundertging es auch darum, einer Solidarisierung zwischen kleinem weißen und kleinem nicht-weißen Mann (und Frau) entgegenzuwirken. Beide waren im frühen Amerika ähnlich stark von entwürdigender Ausbeutung potentiell betroffen. Indem man den kleinen Weißen das Gefühl gab, immer –egal wie schlecht man dastand –wenigstens eine Gruppe aufgrund von Rassismus unter sich zu haben, beruhigte man sie bzw. sorgte dafür, dass sich ihre Wut nicht gegen die eigenen Eliten, sondern die konstruierten „Anderen“ richtete. So etablierte sich der Rassismus.Wenn der wachsende Rassismus, der in Deutschland letztlich seit der Wiedervereinigung 1990 auf dem Vormarsch ist, neben dem Erstarken der Populist*innen nun aber auch zunehmend eine Wiederverbrüderung über konstruierte Hautfarbengrenzen hinweg bewirkt, besteht zumindest noch Hoffnung. Die Zukunftsfähigkeit von bisher weißdominierten Gesellschaften hängt immer stärker von der Fähigkeit ab, allen Bürger*innen gleiche und volle Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, auch aufgrund des sich nicht erst seit gestern abzeichnenden demografischen Wandels. Deutschland verfügt über keine nennenswerten Ressourcen. Ausnahme: Die „Köpfe“ der Menschen, d.h. die potentielle Innovations-und Organisationskraft. Global gesehen ist White Supremacy zunehmend Geschichte. Ein wachsender Rassismus innerhalb von bisher weißdominierten Gesellschaften kann diesen Trend nicht umkehren. Im Gegenteil: Wer in der heutigen globalisierten Welt mit all ihren Herausforderungen die Zeichen der Zeit nicht erkennt, spielt mit der eigenen Zukunftsfähigkeit.
Serge Palasie, Fachpromotor Flucht, Migration und Entwicklung, 6. Juni 2020| Internet: www.eine-welt-netz-nrw.de.
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